Interview mit Alexander Blum, Geschäftsführer der Blum-Novotest GmbH

Industrie 4.0 seit 40 Jahren

2018 wurde Blum-Novotest 50 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich das Unternehmen zu einem global agierenden Hersteller hochpräziser Mess- und Prüftechnik entwickelt, der mit seinen Technologien in allen Schlüsselbranchen vertreten ist. NCFertigung sprach mit Geschäftsführer Alexander Blum, über jüngste Entwicklungen und darüber, was die Anwender in Zukunft vom Mess- und Prüftechnik-Spezialisten Blum-Novotest erwarten können.

Herr Blum, 2018 war für Ihr Unternehmen - denkt man nur an den Neubau oder auch das 50-jährige Jubiläum - ein sehr ereignisreiches Jahr. Wie fällt Ihr Resümee für 2018 aus?

Ich würde 2018 als ein sehr abwechslungsreiches, interessantes und anstrengendes Jahr beschreiben. Wir haben ein neues ERP-System eingeführt, wie Sie schon erwähnten im vierten Quartal unser neues Montage-Gebäude fertiggestellt, und dementsprechend die Umzüge vorbereitet. Und das, trotz weiterem Geschäftswachstum, mit nur punktueller Störung unserer Produktion. Dazu kam mit unserem Jubiläum natürlich eine Veranstaltung in einer Größenordnung, wie wir sie selbst noch nicht organisiert haben, die aber sehr erfolgreich verlief. Besonders hat uns das große Interesse der Kunden an der Veranstaltung gefreut. Genauso wichtig war für uns aber auch, dieses Jubiläum gemeinsam mit unseren Mitarbeitern zu feiern, denn diese sind der maßgebliche Faktor für den Erfolg unseres Unternehmens.

Als Hersteller hochmoderner Messtechniklösungen haben Sie natürlich das Ohr auch immer nahe an den Schlüsseltechnologien wie etwa der Automobilindustrie. Sieht man sich die in globaler Betrachtung wirtschaftlich sehr unruhige Zeit an, führt das bei Ihnen zu einer Beunruhigung?
Wenn ich jetzt ja sage, bin ich damit sicherlich nicht alleine. Aus meiner Sicht sind wir 2019 in der produzierenden Industrie in einer Situation, in der wir keine wesentliche Blasenbildung in den letzten Jahren verzeichnet haben. Wir haben in vielen Regionen der Welt eine steigende Nachfrage nach Konsumgütern, also eigentlich eine positive Situation. Auch im Hinblick auf die Veränderung im Antriebsstrang - wenn wir von der Automobilindustrie sprechen - kommen wir in eine Übergangsphase, die für mindestens fünf Jahre durch die unterschiedlichen Technologien für Mehrarbeit sorgt. Wir haben also von Seiten der Industrie überhaupt keinen Anlass, mit einer wesentlichen Krise zu rechnen. Was mich aber tatsächlich beunruhigt, ist, dass wir in Zeiten, in der die letzte große Krise immer noch nicht komplett aufgearbeitet ist, nationalistische Tendenzen, die letztlich in Handelskonflikten münden können, ein Potenzial haben, dass sie das Investitionsverhalten massiv beeinträchtigen. Das kann aus meiner Sicht zu einer starken Überlagerung des normalen zyklischen Verhaltens der Industrie führen.

Und wie reagieren Sie mit Blum-Novotest auf diese Gefahren?
Neben einer hohen Eigenkapitaldecke verfolgen wir seit jeher das Ziel, geographisch nicht nur von einer Region abhängig zu sein und auf der anderen Seite auch breit aufgestellt zu sein, was die verschiedenen Ziel-Industrien angeht. So sind wir nicht nur von einem Markt oder einer Branche abhängig.

Wenn ich richtig informiert bin, können Sie durch den Neubau Ihrer Produktion die Kapazität nahezu verdoppeln. Ich gehe davon aus, dass eine Auslastung der neuen Produktionsstätte in gewissem Maße einkalkuliert ist. Kommt da nicht solch eine konjunkturelle Situation zur Unzeit?
Kann solch eine Situation überhaupt zur richtigen Zeit kommen? Fakt ist, dass wir vor Fertigstellung unseres Neubaus absolut an unsere Kapazitätsgrenzen gestoßen waren. Unabhängig von der konjunkturellen Situation können wir mit unseren neuen Möglichkeiten Produktivitäts- und Effizienzvorteile erzielen. Als Unternehmer muss man an seine Zukunft glauben und in seine Zukunft investieren. Wir gehen davon aus, dass der Bedarf an Mess- und Prüftechnik in der produzierenden Industrie auf lange Sicht weiter zunehmen wird. Wir sind in der Lage, verschiedenste technische Disziplinen unter einen Hut zu bringen und innovative Lösungen zu produzieren. Und ich denke, dass das gerade für einen Standort wie Deutschland sehr wichtig ist.
 
Bei der Jubiläumsveranstaltung entstand auf jeden Fall der Eindruck, dass Sie sehr enge Kunden - und Partnerkontakte pflegen. Wie wichtig sind für Blum-Novotest diese engen Beziehungen?
Wir arbeiten fast in allen Märkten mit einem lokalen Management, denn wir müssen in der Lage sein, Teil unserer Absatzmärkte zu sein. Dazu müssen wir nahe an unseren Kunden - seien es Endkunden, Maschinenhersteller oder auch Händler - sein. Und wenn wir da von einer technischen Nähe sprechen, meine ich nicht nur Einkäufer oder Technisches Management, sondern vor allem auch den Bediener eines unserer Produkte, der letztlich einen Prozess am Laufen halten muss. Um eine geschlossene Prozesskette zu erzeugen, ist der optimale Einsatz vorhandener messtechnischer Möglichkeiten ein ganz wesentlicher Faktor. Fertigungsmesstechnik dient der Qualitätsverbesserung der Teile, die auf einer Maschine produziert werden, genauso ermöglicht sie aber erst eine Automatisierung, indem sie Prozesse verfolgt und optimiert. Nur wenn wir unsere Kunden dabei unterstützen, dass unsere Produkte verstanden und auch richtig angewandt werden, dann können diese auch die Vorteile aus ihrem Invest herausziehen. Daher ist der Kundenservice mit Applikationsunterstützung ganz wesentlicher Teil unserer Arbeit.

Und diese Art von Service funktioniert weltweit bei Ihnen?

Ja, wir legen großen Wert darauf, diese Unterstützung weltweit zu leisten, da es von Beginn an unser Fokus war, mit der optischen Messtechnik eine anspruchsvolle Technik in den Markt einzuführen, die jedoch nicht selbsterklärend ist und die als Komplettpaket mit Software und Benutzeroberfläche Unterstützung für unsere Kunden benötigt. Daher betreiben wir in diesem Sektor einen großen Aufwand.

Und wie sieht diese Unterstützung aus?
Wir haben da - wie man so schön sagt - einen ganzen Blumenstrauß von Möglichkeiten. Vom bei uns im Hause stattfindenden Tech-Talk über Schulungen, online-wie telefonischen Support bis hin zu unserer measureXpert App, die wir seit letztem Jahr für den Einsatz auf Smartphones, PCs oder auch auf der Bearbeitungsmaschine anbieten. Über diese App können die Messzyklen zum Vermessen von Werkzeug oder auch Werkstück sehr einfach generiert und an passender Stelle mit in den Bearbeitungsprozess integriert werden. So lassen sich, wie eingangs schon erwähnt, geschlossene Prozessketten realisieren.

Sprechen wir dabei, je nachdem wie man es definiert, also schon von Closed Loop-Systemen?
Egal wie wir es nennen, Industrie 4.0 oder auch Closed-Loop-Systeme, genau genommen praktizieren wir Inhalte von Industrie 4.0 schon seit 40 Jahren, nämlich mit geschlossenen Prozessketten, um Prozesse zu optimieren. In der Automobilindustrie ist das nicht wirklich etwas Neues. Was hinzukommen wird, sind AI-Anwendungen (Anm. d. Red. Artifizielle Intelligenz), die verschiedene Informationen zu einer neuen Information oder individuellen Aktion verknüpfen. Der geschlossene Regelkreis allerdings ist für uns tägliches Brot - schon seit vielen Jahren. Das den Bedienern von Werkzeugmaschinen nahe zu bringen, ist ganz entscheidend.

Stichwort Innovation: Betrachtet man die Blum-Neuheiten in den letzten Jahren, lassen sich relativ kurze Innovationszyklen feststellen. Wie schaffen Sie es, diese innovativen Lösungen in solch kurzen Zeiträumen zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen?
Zu allererst ist es unser Grundanspruch bei Blum-Novotest, ein innovatives Unternehmen zu sein. Das ist der Geist mit dem wir jeden Tag an unsere Arbeit gehen. Dazu sind wir eng mit unseren Kunden in Kontakt. Auf diese Weise erfahren wir auch, welche Bedürfnisse am Markt herrschen und letztlich entstehen daraus auch unsere Produkte. Ein gutes Beispiel ist das Lasermesssystem LC50-DIGILOG, das ursprünglich als Facelift unserer NT-Generation angedacht war, bei dem wir aber schnell erkannten, welche neue Möglichkeiten sich dabei für uns erschließen. Entscheidend war für uns dabei die Frage, Was braucht die Fertigung der Zukunft? Die Antwort darauf ist eigentlich ganz einfach: eine Fertigung ohne Ausschuss. Durch das Scannen von Werkzeugen und der Erfassung der Schneiden-Geometrie kombiniert mit der scannenden Erfassung der Werkstücksituation können wir zu ganz neuen Ufern aufbrechen.

Können Sie das Thema ‚Fertigung der Zukunft‘ noch etwas konkretisieren?
Ich gehe davon aus, dass in den nächsten 5 bis10 Jahren die Entwicklung dahin geht, dass eine Maschine auch bei engsten Toleranzen, trotz Einfluss von physikalischen Parametern wie Wärmegang oder Abdrängung von Werkzeugen, über die Erfassung von Werkstück-Geometrien und über die Kenntnis der Schneiden-Geometrie in der Rotation, in fast allen Fällen eine Produktion ohne Ausschuss realisieren kann.

Was ja letztlich wieder zum Closed Loop System führt?
Schon, aber anders, als es heute oft gedacht wird. Ein Beispiel: Für viele besteht ein Closed Loop aus der Feststellung einer Abweichung, die dann etwa durch mehr Zustellung korrigiert werden kann. Möglicherweise hat die Abweichung aber eine ganz andere Ursache. Ich denke, in der Zukunft können noch andere Sensor-Werte mit erfasst werden, was den Zustand der Schneide angeht. An dieser Stelle dann mehrere Informationen zusammenzubringen und ohne noch einmal zum CAM-System zurückzugehen zu müssen um die Prozessparameter anzupassen, das ist in meinen Augen die nächste Stufe. Die Maschine korrigiert also selbstständig die Verfahrbewegung aus den verschiedenen Sensorinformationen in Abhängigkeit zum Werkstück.

Lassen Sie uns noch über die neu entwickelten Produkte aus der jüngeren Vergangenheit sprechen. 2017 kam der LC50-DIGILOG und dann 2018 noch der LC52-DIGILOG mit adaptiertem Messtaster auf den Markt. Welche Weiterentwicklungen sind hier noch denkbar?
Die wesentlichen Weiterentwicklungen sind hier auf der Applikationsseite zu sehen. In naher Zukunft wollen wir beispielsweise auch die Werkzeugschwingungen mit dem Lasermesssystem erfassen. Das werden wir schon in diesem Jahr vorstellen können.

Und wie entwickelt sich das Geschäft mit dem 2018 vorgestellten Spindelprüfstand?

Das entwickelt sich gut, braucht aber auch Zeit, da die Einführung solch einer Prüftechnik natürlich auch immer mit strukturellen Veränderungen beim potenziellen Anwender einhergeht. Wir sind aber extrem zuversichtlich und haben schon viele positive Signale.

Und was kann ich mit dem Prüfstand letztlich alles prüfen?
Beim Laborprüfstand geht das vom Drehmomentverhalten der Spindel über Temperaturmessungen, Vibrationen bis zur Verfolgung der Auswirkungen von Quer- oder Axialkräften. Mit dem Laborprüfstand sollen auch die Grenzen ausgelotet werden. Solche Untersuchungen sind natürlich extrem hilfreich bei der Weiterentwicklung der Produkte.

Diese Prüfstände sind ja ein Kooperationsprojekt der verschiedenen Abteilungen unter dem Dach von Blum-Novotest. Welche Abteilungen haben bei dieser Kooperation zusammengewirkt?
Bei den End-of-Line-Prüfständen haben wir die Hoheit hier im Bereich unserer Messmaschinen. Bei den Laborprüfständen wiederum ist unsere Prüfstandstechnologie federführend, wie auch bei der Software. Gerade hier haben wir eine technische Nähe zu eDrive im Automobilbereich und haben bezüglich der Belastungsprüfungen einen konstanten Austausch von Know-how. Das heißt, dass interessierte Spindelhersteller natürlich von unserem Wissen bezüglich eDrive stark profitieren. Meines Wissens kann bezüglich dieses Erfahrungsschatzes kein Anbieter mithalten.

Der Markt mit Spindelherstellern ist natürlich endlich. Für wen könnten solche Prüfmöglichkeiten noch interessant sein?
Natürlich ist das auch für die auf Überholung von Spindeln spezialisierten Unternehmen, von denen es weltweit recht viele gibt, interessant. Auch große Konzerne haben schon Interesse für ihre zentralen Wartungsbereiche angemeldet.

Wenn wir nun etwas nach vorne blicken, in welche Richtung gehen die Überlegungen von Blum, wenn wir über kommende Neuentwicklungen sprechen?
Wir beschäftigen uns im Bereich der Sensorik mit neuen Richtungen, stellen uns etwa die Frage, welche Sensorik zum Beispiel additive Metallbearbeitungsprozesse in der Zukunft benötigen.

Lassen Sie uns nun noch auf die in Kürze stattfindende Control blicken. Was erwartet die Besucher denn beim Besuch des Blum-Messestandes?
Ein Schwerpunkt wird unsere neue Software M4P. Diese ist speziell für unsere Postprozess-Messanlagen entwickelt worden. Hier haben wir vor allem auf eine hohe Benutzerfreundlichkeit Wert gelegt und auch in Sachen Präzision konnten wir hier zulegen. In eine voll automatisierte
Fertigungslinie integriert, lässt sich die Qualität jedes Bauteils dokumentieren, fehlerhafte Bauteile lassen sich sofort herausnehmen und auch ein geschlossener Regelkreis zur Steuerung des Bearbeitungszentrums realisieren. In diese neue Software haben wir unser ganzes Messtechnik-Know-how mit eingebracht. Ein Besuch auf dem Stand von Blum lohnt sich also.


Erschienen in Ausgabe 4/19 des Fachmagazins NCFertigung. Das Interview führte Gerhard Maier, Fachjournalist.